Gesundheitstipp des Monats: Mobbing erkennen und bekämpfen

Von Ihrem Betriebsarzt Dr. med. Walter Russ

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

im Rahmen meiner regelmäßigen Gesundheitstipps möchte ich heute ein wichtiges Thema ansprechen, das leider in vielen Unternehmen nach wie vor präsent ist und erhebliche Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit haben kann:

Mobbing am Arbeitsplatz.

Als Ihr Betriebsarzt liegt mir das Wohlbefinden aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besonders am Herzen. Ein gesundes Arbeitsumfeld ist entscheidend für Ihre Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Arbeitszufriedenheit. Daher widme ich diese Ausgabe vollständig dem Thema Mobbing - seiner Erkennung, den Folgen und vor allem den Präventions- und Interventionsmöglichkeiten.

Was ist Mobbing? - Erscheinungsformen und Merkmale

Mobbing am Arbeitsplatz ist keine Seltenheit und kann viele Gesichter haben: Gerüchte streuen, ausgrenzen, bloßstellen, demütigen oder drangsalieren. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) definiert Mobbing als einen gruppendynamischen Prozess, der bestimmte Merkmale aufweist:

  • Es beginnt häufig mit Schikanen durch eine Einzelperson gegenüber einem Kollegen oder einer Kollegin, mit dem Ziel, diese Person auszuschließen oder loszuwerden.
  • Typischerweise erstreckt sich Mobbing über einen längeren Zeitraum, wobei sich nach und nach weitere Personen anschließen können.
  • Dabei kann die Aggression sowohl von Teammitgliedern als auch von Führungskräften ausgehen (sog. "Bossing").
  • Mobbing kann sowohl auf psychischer Ebene stattfinden als auch zu körperlichen Übergriffen oder Belästigungen eskalieren.

Wichtig ist zu verstehen: Nicht jeder Konflikt oder jede Meinungsverschiedenheit im Arbeitsumfeld ist gleich Mobbing. Von Mobbing spricht man erst, wenn die Angriffe systematisch und über einen längeren Zeitraum erfolgen und das Ziel haben, eine Person auszugrenzen oder zu isolieren.

Warum tritt Mobbing am Arbeitsplatz auf?

Nach Erkenntnissen der Arbeitspsychologie wird Mobbing durch bestimmte Konstellationen besonders begünstigt:

  • Feste Teamstrukturen, in denen personelle Wechsel nicht oder nur eingeschränkt möglich sind
  • Unklare Rollenverteilungen und Zuständigkeiten
  • Intransparente Arbeitsabläufe und Kommunikationswege
  • Unangemessene Arbeitsbelastung und permanenter Zeitdruck
  • Führungsschwäche oder fehlende Konfliktlösungskompetenzen
  • Organisatorische Veränderungen wie Umstrukturierungen oder Stellenabbau

Häufig beginnt Mobbing mit einem schwelenden Konflikt, der nicht konstruktiv gelöst wird. Mit der Zeit gerät der ursprüngliche Konflikt in den Hintergrund und stattdessen wird die betroffene Person zur Zielscheibe verschiedenster Schikanen und Herabsetzungen.

Gesundheitliche Folgen von Mobbing

Als Betriebsarzt sehe ich leider regelmäßig die schwerwiegenden gesundheitlichen Auswirkungen von Mobbing. Die Folgen können verschiedene Ebenen betreffen:

Psychische Gesundheit:

  • Anhaltende Angstzustände und Panikattacken
  • Depressive Verstimmungen bis hin zu schweren Depressionen
  • Schlafstörungen und chronische Erschöpfung
  • Posttraumatische Belastungsstörungen
  • Verlust des Selbstwertgefühls und Selbstzweifel

Körperliche Gesundheit:

  • Psychosomatische Beschwerden wie chronische Kopf- und Rückenschmerzen
  • Magen-Darm-Probleme und Verdauungsstörungen
  • Erhöhter Blutdruck und Herz-Kreislauf-Probleme
  • Geschwächtes Immunsystem mit erhöhter Infektanfälligkeit

Berufliche Auswirkungen:

  • Erhöhte Krankheitsraten und längere Fehlzeiten
  • Verlust der Arbeitsmotivation und Leistungsfähigkeit
  • Sozialer Rückzug und Isolation im Team
  • Im Extremfall Arbeitsplatzverlust oder Berufsunfähigkeit

Die gesundheitlichen Schäden durch Mobbing können langfristig sein und manchmal sogar über das Berufsleben hinaus anhalten. Daher ist es so wichtig, Mobbing frühzeitig zu erkennen und entschieden dagegen vorzugehen.

Handlungsempfehlungen und Lösungsansätze

Für Betroffene:

Sollten Sie persönlich von Mobbing betroffen sein oder den Verdacht haben, gemobbt zu werden, empfehle ich Ihnen folgende Schritte:

  1. Dokumentieren Sie systematisch: Führen Sie ein "Mobbing-Tagebuch" mit detaillierten Aufzeichnungen über Vorfälle. Notieren Sie Datum, Uhrzeit, beteiligte Personen, Vorfall und Zeugen. Diese Dokumentation ist wichtig, um Ihre Erfahrungen nachvollziehbar und plausibel darzustellen.
  2. Brechen Sie das Schweigen: Suchen Sie frühzeitig das Gespräch mit Vorgesetzten, der Personalabteilung oder der Arbeitnehmervertretung. Je früher Mobbing thematisiert wird, desto besser sind die Chancen, es zu stoppen.
  3. Nutzen Sie interne Anlaufstellen: Informieren Sie sich über betriebsinterne Unterstützungsangebote wie Konfliktberater, Mobbingbeauftragte oder Beschwerdestellen gemäß AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz).
  4. Holen Sie sich professionelle Hilfe: Als Ihr Betriebsarzt stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung - unter ärztlicher Schweigepflicht. Gemeinsam können wir über gesundheitliche Auswirkungen sprechen und geeignete Maßnahmen einleiten.
  5. Stärken Sie Ihre Ressourcen: Pflegen Sie private Kontakte und Hobbys, um Kraft zu tanken. Entspannungstechniken wie Progressive Muskelentspannung oder Achtsamkeitsübungen können dabei helfen, mit dem Stress umzugehen.
  6. Erwägen Sie externe Beratung: Bei Bedarf kann ich Sie an spezialisierte Beratungsstellen oder psychotherapeutische Unterstützung vermitteln.

Für Kolleginnen und Kollegen:

Als Zeuge von Mobbing haben Sie eine wichtige Rolle:

  • Zeigen Sie Zivilcourage: Schauen Sie nicht weg, wenn Sie Mobbing beobachten.
  • Unterstützen Sie Betroffene: Bieten Sie Gespräche an und zeigen Sie Verständnis.
  • Vermeiden Sie Mitläuferverhalten: Beteiligen Sie sich nicht an Gerüchten oder Ausgrenzungen.
  • Suchen Sie das Gespräch: Sprechen Sie mit Vorgesetzten oder Vertrauenspersonen, wenn Sie Mobbing beobachten.

Für Führungskräfte:

Als Führungskraft tragen Sie besondere Verantwortung bei der Mobbingprävention und -intervention:

  • Achten Sie auf Frühwarnsignale: Erhöhte Fehlzeiten, sozialer Rückzug oder plötzliche Leistungseinbrüche einzelner Teammitglieder können auf Mobbing hindeuten.
  • Reagieren Sie umgehend: Wenn Sie von Mobbing erfahren, verschaffen Sie sich einen Überblick über die Situation. Führen Sie Einzelgespräche mit allen Beteiligten.
  • Setzen Sie klare Grenzen: Beziehen Sie eindeutig Position gegen Mobbing und kommunizieren Sie, dass ein respektvoller Umgang erwartet wird.
  • Analysieren Sie die Strukturen: Hinterfragen Sie Arbeitsbedingungen, die Machtgefälle begünstigen können. Sorgen Sie für klare Rollendefinitionen und transparente Arbeitsabläufe.
  • Stärken Sie die Teamkultur: Fördern Sie eine Atmosphäre gegenseitigen Respekts und Wertschätzung. Regelmäßige Teambuilding-Maßnahmen können helfen, ein positives Miteinander zu fördern.
  • Bilden Sie sich fort: Nutzen Sie Schulungsangebote zu Konfliktmanagement und Mobbingprävention.

Präventionsmaßnahmen im Unternehmen

Wir alle wissen: Vorbeugen ist besser als Heilen. Dies gilt auch in Bezug auf Mobbing am Arbeitsplatz. Als Ihr betriebsärztlicher Dienst möchte ich daher besonders die Bedeutung präventiver Maßnahmen hervorheben:

Strukturelle Maßnahmen:

  • Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen: Gemäß § 5 Arbeitsschutzgesetz sind Unternehmen verpflichtet, auch psychische Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen. Mein Team und ich unterstützen Sie gerne bei der Durchführung dieser Analysen.
  • Betriebsvereinbarungen zum Thema Mobbing: Eine klare Positionierung des Unternehmens gegen Mobbing in Form einer Betriebsvereinbarung sendet ein wichtiges Signal. Diese sollte Definitionen, Verfahrensweisen und Sanktionen beinhalten.
  • Etablierung von Anlaufstellen: Die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle oder die Benennung von Mobbingbeauftragten erleichtert Betroffenen den Zugang zu Hilfe.
  • Transparente Organisationsstrukturen: Klare Rollenverteilungen, Zuständigkeiten und Kommunikationswege reduzieren Konfliktpotential und beugen Machtmissbrauch vor.

Kulturelle Maßnahmen:

  • Entwicklung eines Wertekodex: Gemeinsam mit den Beschäftigten können Regeln des kollegialen, respektvollen Miteinanders festgelegt werden. Wichtig ist, dass dieser Kodex nicht nur auf dem Papier existiert, sondern im Alltag tatsächlich gelebt wird.
  • Förderung einer offenen Kommunikationskultur: Regelmäßige Teambesprechungen, Feedbackkultur und ein konstruktiver Umgang mit Konflikten helfen, Probleme frühzeitig zu erkennen und zu lösen.
  • Sensibilisierung und Schulung: Führungskräfte sollten zum Thema Mobbing geschult werden, um Frühwarnsignale zu erkennen und angemessen zu reagieren. Ebenso wichtig sind Schulungen zu Konfliktmanagement für alle Mitarbeitenden.

Konkrete Handlungsleitfäden:

  • Notfallplan bei Mobbingverdacht: Ein klar definierter Prozess für den Umgang mit Mobbingfällen ermöglicht schnelles und koordiniertes Handeln.
  • Interventionsstrategien: Es sollten sowohl niedrigschwellige Interventionen (Mediationsgespräche) als auch formale Beschwerdeverfahren etabliert werden.
  • Nachsorge und Reintegration: Nach Mobbingfällen ist die Nachsorge entscheidend, um betroffene Personen wieder gut ins Team zu integrieren und Wiederholungen zu vermeiden.

Aktuelles zum Thema:

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat im Rahmen ihrer Kampagne #GewaltAngehen umfangreiche Informationen und praktische Handlungshilfen zum Thema Mobbing am Arbeitsplatz zusammengestellt. Diese Materialien stehen kostenlos zur Verfügung und können wertvolle Impulse für betriebliche Präventionsmaßnahmen liefern.

Besonders hinweisen möchte ich auf den aktuellen Mobbing-Report 2024 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Die zugrundeliegende Studie wurde von Prof. Dr. Margrit Löbner vom Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health der Universität Leipzig geleitet und liefert aktuelle Erkenntnisse über Häufigkeit, Formen und Folgen von Mobbing in der deutschen Arbeitswelt.

Denken Sie daran: Ein gesundes Arbeitsklima ist die Grundlage für Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, ein mobbingfreies Arbeitsumfeld zu schaffen und zu erhalten!

Mit herzlichen und gesunden Grüßen,

Dr. med. Walter Russ Ihr Betriebsarzt


"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller." Grundgesetz, Artikel 1